Beziehung und Schenken

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Mehr als eine nette Geste: Die Bedeutung des Schenkens für die Beziehung

Es ist doch immer wieder das gleiche Spiel, das wir Jahr für Jahr im Vorfeld des Weihnachtsfestes spielen: Der Sommer neigt sich langsam dem Ende zu, und schon stellen wir uns erneut die Frage, was wir in einigen Monaten unseren Lieben zu Weihnachten schenken sollen. Die Frage kommt zumeist schon in dieser Jahreszeit auf, denn jetzt reisen viele von uns in den Urlaub, was immer eine gute Möglichkeit darstellt, auf exotische Geschenkejagd zu gehen. In diesem Artikel zeigen wir auf, dass es beim Schenken gleichwohl weitaus weniger auf die einzelne Sache ankommt, die man schenkt, als vielmehr auf den Akt des Schenkens selbst.

Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft

Sprichwörter haben ja oftmals einen wahren Kern: Sie kondensieren die Essenz eines Phänomens und bringen sie, in leicht überspielter Manier, prägnant zum Ausdruck. Der Spruch, dass kleine Geschenke ja bekanntlich die Freundschaft erhalten, steht dem in nichts nach, denn auch er bringt etwas zum Ausdruck, dass ganz Wesentlich den Kern eines sozialen Phänomens bezeichnet: Die Bedeutung des Schenkens für zwischenmenschliche Beziehungen.

Klar, wir alle wissen natürlich – mal mehr, mal weniger explizit, dass nichts in unserer modernen Gesellschaft die Logik des Kapitals und des Marktes mehr verkörpert, als das alljährliche Weihnachtsgeschäft: Menschen überbieten sich mit immer teurer werdenden Dingen, die sie vielleicht gar nicht wirklich brauchen, sie wollen die neuste Apple Watch oder das neuste iPhone, obwohl sie doch noch ein gutes Vorgängermodell besitzen, oder sie wollen Gutscheine, immer mehr Gutscheine, von denen sie sich dann beispielsweise etwas von Amazon bestellen können; andere Menschen fliegen nach New York oder London und machen »Weihnachtsshopping«. Sie hetzten dabei, sind unter Stress, und nicht selten kommt Panik auf, ob denn das, was man seinen Liebsten da an als begehrenswert typisierten Objekten gekauft hat, den Adressaten wirklich gefallen wird oder ob wir nicht doch noch etwas mehr Geld in die Hand nehmen sollten. Es steht außer Frage: Wir moderne Menschen haben zweifelsohne ein ambivalentes Verhältnis zu Weihnachtsgeschenken im Speziellen sowie dem Schenken im Allgemeinen. Wir lieben es irgendwo, aber wir hassen es auch, weil es uns keine Ruhe gibt und im Kontext der Strukturen unserer kapitalistisch verfassten Gesellschaft in eine schier endlose Steigerungs- und Überbietungsspirale hineinmanövriert, aus der wir nur dann herauskommen können, wenn wir uns wieder auf das besinnen, was das Schenken im Kern ausmacht: Die Aufrechterhaltung unserer Beziehungen.

Schenken als Gabe, das ein soziales Band stiftet

Der französische Anthropologe Marcel Maus hat in seiner Schrift »Die Gabe« gezeigt, dass dem Schenken ein universelles Momentum zukommt, das grundlegend für menschliche Beziehungen ist. Der Akt des Schenkens nämlich bedeutet, dass der Schenkende von sich aus – denn es gibt ja kein Gesetzt, keinen äußeren Zwang, der uns dazu zwingen würde – in eine Art Vorleistung geht. Das Geschenk stellt dabei eine Gabe an jemanden dar, mit dem der Schenkende gerne in Beziehung treten möchte. Dabei ist es im Grunde unerheblich, was genau man da eigentlich schenkt: Es kann ein Strauß Blumen, eine Einladung zum Kaffee oder gar nur ein freundliches Lächeln sein. In jedem Fall ist entscheidend, dass wir damit einen ersten Zug machen, um eine Beziehung zu stiften. Wird unsere Vorleistung irgendwann mal erwidert, indem wir selbst auch beschenkt werden, so wird die Beziehung zwischen den Schenkenden verfestigt und es entsteht ein, wie Mauss es nennt, »soziales Band«, eine wechselseitige Verpflichtung zum Geben und Nehmen. Wichtig ist, dass die Geschenke dabei nicht wie in der Wirtschaft nach dem Prinzip der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung aufgewogen werden, sondern völlig unterschiedliche Wertigkeiten haben können. Entscheidend ist nur, dass sie überhaupt getauscht werden und die Beziehung durch das soziale Band folglich aufrechterhalten wird. Von daher spielt es also keine Rolle, ob wir unserer Großmutter zu Weihnachten ein Spezialgerät für eine Ultraschall-Schmerztherapie, einen Gutschein oder »bloß« ein selbstgenähtes Kopftuch schenken; die Hauptsache ist, dass wir überhaupt etwas schenken und dabei anzeigen, dass wir es mit dem Aufrechterhalten der Beziehung ernst meinen, indem wir das Geschenk beispielsweise schön verpacken.

Natürlich ist das Schenken an Weihnachten etwas anderes als das Aussprechen einer Einladung zum Kaffee. Hier können wir nicht damit rechnen, dass unsere Gabe sogleich mit einer Gegengabe quittiert wird; dort, beim weihnachtlichen Geschenketausch, gehört es konstitutiv dazu. Der Unterschied besteht allerdings bloß in der Institutionalisierung der Situationen: Das Weihnachtsfest ist eine Institution, die das Schenken ins Zentrum stellt und so zu einer gesellschaftlich organisierten Gelegenheit der Beziehungspflege wird – nicht umsonst wird es ja schließlich auch »das Fest der Liebe« genannt. Die Einladung zum Kaffee dagegen gehört zum Alltag, steht jedoch, was die Beziehungspflege angeht, dem Weihnachtsfest ansonsten in nichts nach.

Wenn wir demnächst also wieder auf die Suche nach einem Weihnachtsgeschenk gehen, sollten wir uns genau diese Struktur immer wieder vor Augen halten: Indem wir etwas schenken, tun wir weder etwas für die beschenkte Person, noch für uns selbst, wir tun etwas für die Beziehung zwischen uns und ihr.