Köchin gesucht
Eine Geschichte aus dem Buch Sternenzauber
Küchenengel Nr. 1, weiblich, war traurig. Nein, eigentlich verzweifelt, aber das ließ sie sich natürlich nicht anmerken. Das schickt sich nicht in himmlischen Sphären. Das war ein ungeschriebenes Gesetz. Gesetze gab es noch gar nicht lange, hier oben. Erst seitdem dort vor laaanger, laanger Zeit ein waschechter Bürokrat bei Petrus an die Tür klopfte, änderte sich so manches.
Der Bürokrat hatte ein tadelloses Erdenleben geführt und wurde durchs Himmelstor hineingelassen. Als er das vollkommen ungeordnete Herumfliegen der Aber - und Abermillionen Seelen und Engel gewahr wurde, schlug er die Hände über dem Kopf zusammen und eilte zu Petrus zurück.
«Nun ja», erklärte Petrus ihm gelassen, nachdem er sein Entsetzen vorgebracht hatte, «wir haben hier oben doch Platz genug. Was soll's also?»
«Ich könnt's übersichtlicher gestalten», wandte der Eifrige ein.
«Wenn es dich glücklich macht», erklärte Petrus und wandte sich wieder seiner Aufgabe zu. Seitdem, dessen können wir, die eventuell auch einmal da oben landen werden, gewiss sein, ist der Himmel geordnet. Da oben läuft nun alles stilvoll und reibungslos.
Alles? Na ja, beinahe alles.
Engel Nr. 1 (wir lassen die ganzen Zusatzeinteilungen der Nummerierung weg, das würde sonst den Rahmen sprengen), also bei Engel Nr. 1 lief irgendwas, irgendwie verkehrt. Wir müssen zum Verständnis etwas ausholen.
Roswitha, so hieß sie zu Lebzeiten auf der Erde, war eine begnadete Puppenmacherin. Sie ging in ihrer Arbeit, ihrem Hobby total auf und war glücklich und zufrieden. Ihre erste Puppe, eine ganz zierliche, bezaubernde Chinesin, hieß Lizzi und sie nahm sie überall mit hin. Eine kleine, nette Stammkundschaft hatte Rosi auch schon, aber sie konnte noch nicht ganz ihren Lebensunterhalt von ihrer Arbeit bestreiten. Ihr Cousin bot ihr einen Nebenerwerb in seiner Imbissbude an. Erfreut griff Rosi zu und kam somit bestens klar.
Eines Tages geschah es dann. Ein Pkw-Fahrer, er war leider nicht mehr ganz allein, sondern einige Schnäpse benebelten sein Hirn, verlor die Kontrolle über sein Fahrzeug und bretterte in die Imbissbude. Rosi wusste nicht, wie ihr geschah. Sie knallte gegen das kleine Waschbecken, im Fallen griff sie nach ihrer Lizzi und verlor das Bewusstsein. Ihr wurde leichter und leichter und nun nahm sie wahr, sie schwebte gen Himmel. Aha, ich bin also gestorben, dachte sie und es machte ihr überhaupt nichts aus. Sie hatte früher immer geglaubt, dann würde sie voll Trauer weinen.
Petrus wartete schon auf sie, denn es war ihm gemeldet worden, in der Sommerresidenz des Weihnachtsmannes war die Köchin Emmi ausgefallen, dort war also sozusagen: NOT an Frau.
Rosi wurde von Petrus Adjutanten, kurz Assi oder Rudi genannt, mit einer ellenlangen Nummer versehen und flugs der Weihnachtsküche als 1. Köchin zugeteilt. Was heißt 1.? Es gab gar keine andere. Rosi stand in einer fantastischen Küche. Die Größe und Ausstattung war überwältigend. Alle Geräte und Maschinen kannte sie gar nicht. Doch, natürlich, den Kühlschrank und so einiges andere: Mixer, Kaffeemaschine, Wasserkocher, Töpfe, Bestecke und ein bisschen was von dem Kleinkram, aber alles andere war für Rosi ein Buch mit sieben Siegeln.
Verloren stand sie da. Es musste ein Irrtum sein! Sie konnte doch gar nicht kochen! Das Einzige, was sie in der Imbissbude hervorragend schaffte waren die Brat - und Currywürste und der Salat, Kartoffel oder grüner Salat.
Tja, sie wagte nicht auf das Dilemma hinzuweisen und begann für den Weihnachtsmann Salat und Würstchen in allen möglichen Variationen herzustellen.
Nach einiger Zeit war sie buchstäblich mit ihrem Latein am Ende. So fing sie wieder von vorn an. Sie fürchtete, jeden Tag käme ein großes Donnerwetter vom Weihnachtsmann, aber nein, nichts geschah. Und somit gab es weiter Würstchen rechts, Salat mittig, am nächsten Tag: Würstchen links, Salat rechts u.s.w., u.s.w.
Der Butlerengel namens Jim, der mittags für den Weihnachtsmann das Essen holte, war ein absolut distinguierter Typ. Vornehm, aber ehrlich und absolut fair. Selbstverständlich wurde das Essen von Rosi mit einer goldenen Haube zugedeckt und er sah nicht, was er zum Weihnachtsmann trug, aber Jim wunderte sich schon ein wenig, warum der Weihnachtsmann immer dünner wurde. Er bemerkte es mit Besorgnis. Jeden Tag sah der Weihnachtsmann schlechter aus. Das war schier unmöglich, schließlich war er hier in der Sommerfrische um sich vom Weihnachtsstress zu erholen und die nächste Weihnachtssaison stand bald an. Es war nicht mehr lange hin bis Weihnachten. Der Mann musste einfach fit werden!
Was war los?
Der Weihnachtsmann war ein sehr geduldiger Mensch, auch ihm verbot es sich wie von selbst seine Nahrungsversorgung in irgendeiner Weise zu kritisieren. Nur konnte er so langsam keine Würstchen und Salat mehr sehen, geschweige denn verspeisen.
Da das Tablett nach dem Essen meistens genauso schwer war, wie Jim es rein getragen hatte, wagte er eines Tages nachzusehen, entdeckte die Würstchen, den Salat und auch die ewigen Wiederholungen des Ganzen. Kurz entschlossen ging Jim zu Petrus Assi, dem Rudi und brachte seine große Sorge vor.
«Hm, hm, was kann denn bloß los sein? Ist der Weihnachtsmann eventuell krank??»
Rudi kratzte sein Kinn und sah den Butler fragend an.
«Nein, nein, das glaube ich nicht. Ich denke mit der Köchin stimmt was nicht. Sie kann keine gute sein. Das steht nun mal fest. Jeden Tag gibt es dasselbe. Da hätte ich auch keinen Hunger mehr.» Jim sprach mit Bestimmtheit und nun wurde Rudi sichtlich nervös.
«Vielleicht ist sie gar keine. Das müssen wir feststellen. Wir wollen sie nicht kränken, also fragen können wir sie nicht. Es kann ja sein, dass irgendetwas nicht richtig gelaufen ist. Bei ihrer Ankunft, meine ich. Wir werden mal ins Archiv steigen und Akteneinsicht nehmen. Das ist immer noch die beste Methode, um Gewissheit zu bekommen. Wir werden sehen.»
Und so marschierten die zwei ins Archiv. Sie suchten und fanden die Unterlagen von Rosi und waren entsetzt. Rosi war ja gar keine Köchin!
«Sie ist eine Puppenmutter!», entfuhr es dem Assi. «Verflixt!»
«Nein, nein, eine Puppenmacherin. Genau, das was gerade jetzt zur Weihnachtszeit dringend in der Fertigung gebraucht wird. Was machen wir jetzt?» Der Butler war perplex. Die Angelegenheit war wirklich ganz schön kompliziert.
«Auf alle Fälle bringen wir sie klammheimlich zur Fertigung. Ich denke, das ist das Beste, was wir machen können. Dann sehen wir uns nach einer neuen Köchin um», entschied der Adjutant vom Petrus und so wurde es dann auch gemacht.
Sie gingen zu Rosi und erkundigten sich so ganz angelegentlich nach ihrem Befinden und eventuellen Wünschen. Das war ja noch nie vorgekommen. Rosi wunderte sich. Fand aber dann doch den Mut zu sagen, dass sie sich hier in der Küche nicht ganz so wohl fühle. Sie meinte, der Weihnachtsmann hätte wohl eine bessere Köchin als sie verdient.
Da war es keine Schwierigkeit für Rudi und Jim, Rosi zu überreden in die Fertigung zu wechseln. Sie nahm glücklich ihre Lizzi und zog mit den Beiden los.
Am nächsten Tag war Petrus nicht so ganz auf dem Posten und Rudi sprang voller Tatendrang ein und wartete am Tor auf die Neuankömmlinge.
Gerade an dem Tag wurde eine rundliche, liebevolle Mittvierzigerin auf die Reise in den Himmel geschickt. Sie hatte gerade noch Zeit und griff sich ein dickes Buch und schon ging es los. Traurig, aber wahr, dachte sie, es ist vorbei. Obwohl es ja eine unheimlich weite Reise war, kam es ihr gar nicht so lang vor und sie stand vorm Himmelstor. Klopfte selbstbewusst an und, ihr wurde aufgetan. Freundlich wurde sie von einem jungen Mann begrüßt.
«Ich dachte immer, Petrus wäre alt», gestand sie zögernd und besah sich interessiert den jungen Mann.
«Ja, ja, so ist es auch. Nur heute mache ich hier für ihn Vertretung. Ich bin sein Assi Rudi. Willkommen im Himmel!»
«Hallo, ich bin sehr erfreut. Mein Name ist Isabell.» Ein gekonnter Augenaufschlag traf ihn und Rudi war hin und weg. Wohlwollend betrachtete er sie. Hm... sie gefiel ihm außerordentlich. Reizendes Persönchen, dachte er. Und dann sah er ihr dickes Buch. Vorsorglich, fest unter dem Arm geklemmt.
«Was hast Du denn da? Tschulligung, ich bin nicht neugierig. Ich muss das fragen.» Er lächelte sie Verständnis erheischend an.
«Das ist mein Kochbuch», gestand Isabell. «Es ist mein Lieblingsbuch. Ich konnte es nicht zurücklassen!»
Rudi kippte beinahe vor Freude hinten über. «Passt sich gut», sagte er. Nahm ihre Personalien auf, vergab ihr ihre Nummer und erklärte ihr die nun für sie folgenden Aufgaben. «Es wäre nett, wenn du mich bringen könntest?» Isabell blinzelte ihn fragend an.
«Selbstredend», antworte Rudi, pfiff wiederum nun seinen Assi heran und bot Isabell galant seinen Arm. «Ich führe dich gerne überall hin und mache dich mit allem bekannt.»
Und so spazierten sie beide über den wolkenwatteweichen Weg in Richtung Weihnachtsmannküche.
Für Isabell begann eine fantastische Küchenkarriere. Der Weihnachtsmann konnte kaum glauben wie ihm geschah. Er fühlte sich wie in ein Gourmet-Restaurant versetzt und erholte sich zusehends. Jim und Rudi registrierten das überglücklich.
Weihnachten war gerettet!
Zwischen Jim, Rudi, Rosi und Isabell entwickelte sich eine ewigliche, engelhafte, liebevolle Freundschaft. In ihrer Freizeit trafen sie sich regelmäßig zu einem Picknick auf ihrem Lieblingsstern. Tauschten ihre Erfahrungen und Erinnerungen aus und schauten leichten Herzens und frohen Mutes auf die Erde herunter.
Diese Geschichte ist aus dem Buch
Sternenzauber: Geschichten für Groß und Klein
Anke Kopietz begeistert mit ihren reizenden Geschichten Jung und Alt. Egal in welchem Alter man diesen Geschenkband öffnet, das Herz des Lesers wird berührt. Ein Liebespaar, das nach Jahren zusammenfindet, Erinnerungen an Weihnachtsfeste in Zeiten des Mangels oder die Frage nach den Geschenken für dieses Jahr, all dies und mehr, beschreibt die Autorin in bezauberndem Erzählstil, der sie zur Wunschoma für jeden werden lässt.
Ein Geschenkband auf Fotobrillant, mit 10 stimmigen Farbfotos zu den Geschichten.
Autorin: Anke Kopietz
Verlag: Pax et Bonum
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