Mariechen und Josi

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Von Kamil Krejci

Es war noch Winter, als 12A, so war er nun mal beschriftet, der grosse, schöne Tannenbaum, seine Nachbarin, 12B, das erstemal so richtig wahrnahm. Schlank war sie, und prächtig gewachsen, diese schmucke Blautanne.
Etliche Jahre standen sie nun schon nebeneinander in der Baumschule, aber gefunkt hat's erst diesen Januar. Ein Sturm brach los und der Wind pfiff und peitschte sich durchs Gehölz. Die Beiden bogen sich und wogten hin und her und ihre Äste berührten sich. Da fuhr es 12A durch Harz und Stamm und er wurde noch viel blauer als sonst. Wie schön spitz und kühl diese Nadeln doch waren, die ihn da sanft berührten. Nie in seinem kurzen Tannenleben hätte er sich träumen lassen, dass ein Tannenmädchen so zart und lieblich sein könnte, wie seine Nachbarin. Aber auch ihr gefiel die Berührung. Und dass er im wilden Wind so standhaft blieb und stolz, machte einen gewaltigen Eindruck auf sie.
So begannen sie, obwohl sie doch schon über vier Jahre nebeneinander standen, diesen Winter das erstemal miteinander zu plaudern.
Er erzählte von den Tieren die nächtens durch die Baumschule pirschten, dann wenn sie schon längst schlief. Vom Fuchs und vom Dachs, von den Eichhörnchen und den winzigen Mäuschen. Sie wiederum schwärmte von den Blumen und Kräutern, die jedes Jahr um sie herum aus dem Boden spriessen. Sie plauderten und plauschten. Wärt ihr dort gewesen, so hättet ihr's gehört: Verliebt rauschte und säuselte es durch die Äste. Und wenn ihr genau geschaut hättet, so wäre euch nicht entgangen wie die Beiden sich mit ihren Nadeln zuklimperten.
Von nun an waren die Zwei ein Herz und eine Seele. Ein Paar wie es verliebter keines geben kann. Sie berührten sich mit ihren Ästen Tag und Nacht und freuten sich, wie nur Frischverliebte sich freuen können, auf den Frühling. Auf das alljährliche Wunder, wenn die Knospen ihre vielfältigen Formen und unendlich verschiedenen Farben der Sonne entgegenrecken.
Sie konnte es kaum erwarten bis die Ameisen und Käfer aus ihren Schlupflöchern hervorkrochen. Ganz verschämt erzählte sie ihm wie herrlich wohlig es doch sei, wenn die kleinen Tierchen auf ihren Ästen und Nadeln herumkrabbelten. Die Liebsten waren ihr die Marienkäfer und darum nannte er sie fortan Mariechen.
Er konnte sich nicht entschliessen, was ihm am Frühling am Besten gefiel. Mal waren's die Tiere, mal die Pflanzen, mal dies mal jenes. Stets schwärmte er: "Joo sieh, so ein Reh ist doch das süsseste Tier das hier lebt." Oder dann: "Joo! sieh, so ein Pilz ist doch so herrlich wohl geformt." Sie liebte ihn für sein süsses: Joo! sieh. Und fortan nannte sie ihn Josi.
Sie hatten eine schöne Zeit, Mariechen und Josi.
Bald wurde es Sommer und sie freuten sich ob der Vögel, die bei ihnen nisteten. Sie waren wie Patin und Pate zu den Kleinen, den winzigen Federknäueln, die in niedlichen Nestern in ihren Zweigen lebten. Sie wollten auch Kinder. Eine richtige Familie wollten sie werden. Ein richtiger Wald.
Und tatsächlich, im Herbst hingen Hunderte, ja Tausende kleiner Tannzapfen an ihr.
"Das werden unsere Kinder!" erzählten sie allen überglücklich. "Wir sind bald eine grosse Familie!"
Josi wuchs vor Stolz um mindestens einen halben Meter. Majestätisch stand er neben seinem Mariechen. Beide waren so glücklich und froh.
Dann kam der erste Schnee. Es wurde Winter. Das kannten sie schon. Viele ihrer Verwandten wurden in dieser Zeit von den Menschen geholt, auf grosse Lastwagen verladen und weggebracht. Mariechen und Josi wussten nicht wohin.
Und dann eines Tages, waren sie wieder da, die Menschen. Mit schrecklich ratternden Geräten. Mariechen zuckte zusammen, dass sie gleich einige ihrer Zapfen vor Schreck fallen liess. Überall lagen sie im Wald verstreut.
Und dann kamen die Menschen und fällten Mariechen und Josi.
Unsanft wurden sie auf die Ladefläche des grossen Wagens geworfen. Ganz engumschlungen lagen sie da und hielten sich mit ihren Ästen fest. So nah waren sie sich noch nie. Das erstemal im Leben lagen sie Stamm an Stamm.
Der Lastwagen fuhr los. Mariechen und Josi klammerten sich aneinander.
"Hab keine Angst", flüsterte er ihr zu, "wir bleiben auf ewig zusammen."
Der Lastwagen hielt an und schon wurden sie auseinandergezerrt. Josi kam nach links und Mariechen wurde nach rechts geworfen.
Von da an sahen sie sich nicht mehr.
Josi wurde mit anderen Bäumen auf einem Marktplatz aufgestellt und wartete und wartete. Er hoffte stets sein Mariechen käme bald. Aber sie kam nicht. Harztränen liefen seinem Stamm entlang. Zwei Wochen stand er nun schon da und dachte nur an das Liebste, was er im Leben je hatte.
Dann eines Morgens, kam wieder einmal eine Menschenfamilie und strich zwischen den Bäumen auf dem Marktplatz hin und her. Laut waren sie und alle Bäumchen haben sie betastet, hochgehoben und gedreht. Als sie bei Josi waren, schrieen alle beinahe gleichzeitig: "Dieser ist es! Den nehmen wir!"
Dann ging alles ganz schnell. Er wurde in ein Netz gezwängt, auf einen Wagen geschnallt und mitsamt den Menschen ging es wieder auf die Reise.
Nie, nie mehr wird er sein Mariechen wieder sehen, dachte er. Elend war's ihm zumut.
Und auch als sie endlich angekommen sind, er vom Dach gehoben und mitten in einem Zimmer aufgestellt wurde, dachte er nur wehmütig an sein liebstes Mariechen. Sie ging ihm nicht aus seiner Tannenspitze.
Die Menschen behängten ihn mit bunten Kugeln, glitzernden Ketten und steckten ihm so seltsame Stäbchen an, die ein warmes Licht von sich gaben. Es hätte ihm ja eigentlich gefallen, aber er war so unendlich traurig. Dann wurde gesungen. Die Menschen waren ganz schick angezogen und haben gelacht und sich gefreut. Alle waren glücklich und fröhlich. Sie sassen um einen Tisch und assen und tranken. Dinge lagen auf dem Tisch, die Josi noch nie gesehen hatte, braune und gelbe und rote und grüne. Die Menschen assen und tranken und redeten und lachten. - Aber was war das? Mitten auf dem Tisch stand - nein, Josi traute seinen Augen nicht. In der Mitte Stand ein rundes Etwas mit vier Stäbchen drauf. Sie brannten und flackerten, so dass man sie kaum sehen konnte, die Tannenästchen die dieses runde Etwas zierten. Sie klimperten mit ihren Nadeln Josi zu, noch viel mehr als damals im Wald. Wirklich, es war Mariechen! Zwar nicht mehr so gross und schlank wie Josi sie in Erinnerung hatte, aber dafür geschmückt und elegant zu einem Rad geflochten.
Endlich! Er hatte seinen Schatz wieder gefunden!
Josi und Mariechen haben sich glücklich zugezwinkert. Das ganze Zimmer duftete nach Tanne, sosehr haben die Beiden geschwitzt, weil sie so unendlich glücklich waren, sich wiedergefunden zu haben.
Als die Menschen endlich schlafen gingen, hatten sie einander so vieles zu erzählen.
"Du siehst hübscher aus denn je", sagte er zu ihr und sie erwiderte: "Und du, mit deinen prächtigen Kugeln, du bist der wundervollste Baum, den es gibt!"
Sie waren so glücklich wieder beisammen zu sein, miteinander Weihnachten feiern zu können.
Nach den Festtagen haben ihnen die Menschen allen Schmuck, die ganze Pracht, weggenommen. Ganz nackt und kahl standen sie da. Dann wurden sie verbrannt. Hui, wie hat das im Kamin geknistert. Gemeinsam stiegen sie durch den Schornstein in die winterliche Nacht. Eng umschlungen flogen sie durch den Himmel, über Städte und Dörfer, über Berge und Täler. - Aber was war das? "Da! Da unten sind wir aufgewachsen! Da ist unsere Baumschule!" riefen sie. Sie rückten noch näher zusammen und schwebten als kleine Wolke über ihrer ehemaligen Heimat. Dann begannen sie zu weinen - vor Glück: Winzige Keimlinge streckten sich ihnen entgegen und saugten die grossen schweren Tropfen gierig auf. Aus den verstreuten Tannzapfen wuchsen kleine Bäumchen. Ihre Kinder. Ihre Familie. Wer weiss, vielleicht ihr Wald.