Ein Weihnachtsfest im Krieg - Sarajewo 1993

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Verfasser Jasmin Biedermann
eingesandt von Krischa aus Finnland

Ich war 15 Jahre alt und wohnte bei einer Tante auf dem Land. Wir waren einmal12 Geschwister. Nun waren fünf meiner Brüder Soldaten, ein Bruder fiel ein Jahr davor, die vier jüngeren Geschwister waren irgendwo in der Welt verstreut. Wenn sie noch lebten! Wir wussten es nicht, denn der Krieg hatte uns getrennt. Nur meine Eltern, meine Schwester und ich waren noch da. Aber ich wollte euch die Geschichte von einem Weihnachtsfest 1993 erzählen.
Wieder einmal war es Weihnachten geworden. Da meine Tante es ermöglichen konnte, wollte ich das Weihnachtsfest gerne mit meiner Schwester und den Eltern verbringen. So wurde ich also in den Zug gesetzt und die Reise konnte losgehen. In Kriegszeiten ist eine Zugreise nicht mit Bahnfahren in Friedenszeiten zu vergleichen. Es konnte immer etwas dazwischen kommen. Sei es eine Bombe, die zufällig die Gleise traf oder noch schlimmeres. Zwischen Hoffen und Bangen kam ich also spät abends am Bahnhof in Sarajewo an. Ein Bahnbeamter sagte mir, ich solle ja nicht durch die Hauptstrasse gehen, weil da immer wieder Heckenschützen lauerten. Auch wenn es gerade mal eine Feuerpause gäbe, wäre es zu gefährlich.
Als am Stadttheater vorbei kam, gab es Fliegeralarm. Irgendwer zog mich in einen Bunker. Eng aneinander gekauert saßen wir da. Der Krach und das Pfeifen, wenn die Bomben fielen, waren schrecklich. Überall krachte es und die Einschläge waren beängstigend nah. Nach der Entwarnung machte ich mich mit meinem großen "Familienkoffer" auf den Weg nach Hause. Im Koffer befanden sich Konserven und anderes Essbares, alles Geschenke der Dorfbewohner für die Eltern und Nachbarn. Je näher ich nach Hause kam, desto schwerer wurde der Koffer. Glaubte ich jedenfalls! Mutter wird sich sicher über die vielen guten Sachen freuen, dachte ich. Ein Jahr zuvor hatten wir alles verloren. Umso schöner war es, unsere Ersatzwohnung unversehrt vorzufinden. Ich war zu Hause! Doch da war niemand! Voller Angst und todmüde legte ich mich in der Küche auf die Holzbank. Bald schlief ich tief und fest. Am Morgen gab es endlich das ersehnte Wiedersehen mit Eltern und Schwester. Da Vater krank war, hatten sie im Bunker übernachtet, er sollte ein wenig Ruhe haben. An einen Tannenbaum war nicht zu denken. Woher sollte der auch kommen? Es gab ja nichts. Doch als meine Mutter den Koffer öffnete, trauten wir unseren Augen nicht. Für jeden von uns lag ein kleines Päckchen mit selbstgebackenen Keksen drin, für Vater eine Zigarre und für Mutter ein wollenes Tuch. Das Schönste aber war der kleine grüne Tannenzweig mit der Kerze, den die Tante mit ins Paket gelegt hatte. Mein größtes Weihnachtsgeschenk aber war das Wiedersehen mit meinen Eltern und meiner Schwester, mit Freunden und Bekannten.
Das ist jetzt fast 8 Jahre her. Inzwischen leben wir wieder in Sarajewo, aber es hat sich sehr viel verändert.
Janina